Diagnose: Ausnahmezustand, Therapie Geduld
Gallup Stimmungsbarometer: Disziplin bei Social Distancing, Händewaschen und Kontaktverzicht – Klares Ja zur Einschränkung der persönlichen Freiheit – Aber auch erste Anzeichen von Nervosität – Vieles wird vermisst, am meisten der Alltag mit Freunden und Familie
(5. 4. 2020) Zwei Wochen nach der Schließung von Schulen, Kindergärten, Geschäften und Spielplätzen sind die Österreicher trotz der neuen Situation nach wie vor positiv gestimmt. Die gesetzten Maßnahmen werden als realistisch bewertet. Die Regierung erhält nach wie vor hohe Zustimmung für ihr Vorgehen, wenngleich sich hier seit Mitte der Woche eine Trendumkehr abzuzeichnen beginnt (83 % vs. 91 % in der Woche davor). Die Österreicher gehen zwar mehrheitlich davon aus, dass dem Land in der Corona-Krise das Schlimmste noch bevorsteht. Die Bereitschaft, für zielführende Maßnahmen Einschränkungen der persönlichen Freiheit in Kauf zu nehmen, ist aber unverändert hoch.
Das sind die Hauptergebnisse des jüngsten Gallup Stimmungsbarometers*. Es gibt ein klares Bild der Haltung der Bevölkerung zum bestehenden Ausnahmezustand.
Drei Viertel haben Angst vor Ansteckung
Gallup Geschäftsführerin Mag. Dr. Andrea Fronaschütz: „Die Zahl jener, die die vom neuen Virus ausgehende Gefahr für sich und die eigene Familie ernst nehmen, hat sich in den vergangenen vier Wochen drastisch erhöht. Zwei Drittel sind über die Situation besorgt, drei von vier Österreichern befürchten mittlerweile, dass sie oder jemand in der Familie sich mit dem neuen Virus anstecken könnten. Vor drei Wochen war dies nicht einmal die Hälfte und eine deutliche Mehrheit hielt die Gefahr für übertrieben. So dramatische Veränderungen der öffentlichen Meinung haben wir in der über siebzigjährigen Geschichte des Gallup Institutes selten erlebt.“
Fronaschütz weiter: „In einer Situation mit einer solchen Dynamik ist Vertrauen die wichtigste Währung – in Österreich ist das eine Hartwährung: Über 80 Prozent der Bevölkerung fühlen sich ausgezeichnet über die Lage informiert und haben hohes Vertrauen in die Regierung, ihre Maßnahmen sowie in die Berichterstattung von Tageszeitungen, Radio und Fernsehen.“
„Leben im Ausnahmezustand“ unter der Lupe
Zwei Drittel der Befragten geben an, dass sie trotz der außergewöhnlichen Situation entspannt seien. Bei den Älteren (ab 60) sind es sogar drei Viertel.
Fronaschütz: „Dies hängt sicher damit zusammen, dass in dieser Altersgruppe die überwiegende Zahl in Pension ist und nur jeder Dritte wirtschaftliche Nachteile befürchtet.“
Hingegen sieht eine Mehrheit (53 Prozent) der Erwachsenen unter 30 wirtschaftliche Nachteile auf sich zukommen, ebenso die Gruppe der 30 bis 40 jährigen. Diese Altersgruppe sieht sich besonders stark belastet: Fast die Hälfte (44 Prozent) gibt an, sie sei nervös oder sehr nervös.
Neun von zehn Befragten (91 Prozent) sind derzeit bereit, die persönlichen Kontakte auch längere Zeit einzuschränken und das Haus nur für wichtige Arbeit, Besorgungen oder Unterstützung Hilfsbedürftiger zu verlassen, wenn dies hilft, die Ausbreitung des Virus einzudämmen.
Wie lange halten die Österreicher die gegenwärtige Situation mit behördlichen Einschränkungen aber noch durch?
Die Mehrheit der Befragten schätzt die Durchhaltebereitschaft der Bevölkerung auf maximal noch fünf Wochen.
Fronaschütz: „Interessant ist, dass die Befragten die eigene Ausdauer mit mehrheitlich acht Wochen deutlich höher einschätzen. Vier von zehn Österreichern glauben sogar, dass sie es persönlich auch darüber hinaus schaffen würden.“
Fronaschütz weiter: „Drei Viertel der Bevölkerung haben nach eigener Einschätzung jedenfalls die Geduld, den aktuellen Zustand noch länger als drei Wochen durchzuhalten.“
Im erzwungenen „neuen Normalzustand“ betreiben vier von zehn Österreichern Bewegung oder Sport – außerhalb des eigenen Heims sind dies überwiegend Radfahren, Laufen, Spazieren gehen.
Mehr als die Hälfte geht ihrer Berufstätigkeit nach. Viele (40 Prozent der Befragten) arbeiten von zu Hause.
Was fehlt: Treffen mit Familie und Freunden
Die repräsentative Erhebung zeigt auch, was den Österreichern in ihrem durch den Ausnahmezustand geprägten Leben am meisten abgeht:
Am erster Stelle steht die Familie: Drei Viertel fehlen ihre Angehörigen, und zwar den jüngeren Altersgruppen bis 40 tendenziell mehr als den Älteren.
Fronaschütz: „Dies könnte auch ein Hinweis der Sorge der Kinder- und Enkelgeneration um die gefährdete Gruppe der älteren Familienmitglieder sein.“
Gut zwei Drittel geben an, dass ihnen der Direktkontakt mit Freunden (66 Prozent) sowie „normale Gespräche ohne das Thema Coronavirus (64 Prozent) fehlen.
Danach folgen für jeden Zweiten die Ausübung eines Hobbys (49 Prozent), „Essen gehen“ (51 Prozent) und „Reisen“ (51 Prozent) . Einem guten Drittel fehlt das Fortgehen (37 Prozent) sowie „Shopping“ in Einkaufszentren und Geschäften (30 Prozent) und der Besuch beim Friseur (31 Prozent), mehr als einem Drittel der Befragten gehen Kulturveranstaltungen, wie Theater, Kino und Konzerte (36 Prozent) ab und nur einem Fünftel (21 Prozent) das Fitnessstudio.
Jeder Fünfte vermisst zu Hause Arbeitsplatz und Arbeitskollegen, eine Minderheit (8 Prozent) den eigenen Chef.
Wenig überraschend geht den Menschen die tägliche Parkplatzsuche sowie das Gedränge in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ab.
Für Familien steht die Frage im Raum, ob und wann Schulen und Kindergärten wieder öffnen. Offene Schulen vermissen zwar im Durchschnitt der Bevölkerung nur 18 Prozent der Befragten, in den relevanten Altersgruppen (30 bis 50) und bei Familien mit Kindern ist die Quote aber naturgemäß deutlich höher.
„Ein großer Teil der Menschen in Österreich zeigt Verständnis für die Notwendigkeiten, fügt sich der Sondersituation und trägt – noch – disziplinierte Gelassenheit und demonstrative Geduld vor sich her. Es zeigt sich aber auch, dass die Einschränkungen bei einer großen Mehrheit tiefe Spuren zu hinterlassen beginnen. Die deutlicher sichtbare Nervosität der am stärksten belasteten Gruppen kann zu einer Tendenz in Richtung Ungeduld bei einer breiteren Bevölkerung führen“ fasst Fronaschütz die Studienergebnisse zusammen.
*Bevölkerungsrepräsentative Umfrage des Österreichischen Gallup Instituts (Methode: Computer Assisted Web Interviewing im Gallup Onlinepanel, rep. für die webaktive Bevölkerung 16+, durchgeführt vom 27. März bis 2. April 2020, 1.000 Befragte)
Rückfragen:
Dr. Mag. Andrea Fronaschütz
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